This text describes the interdependence of table making and printing process innovations during the 19th century. It is largely based on Doron Swades article »The ‘unerring vertainty of mechanical agency’: machines and table making in the nineteenth century.« from Campbell-Kelly »The history of mathematical tables: from Sumer to spreadsheets.« (2003). I had to shorten this part from my larger essay about Tables, and for the sake of saving it somewhere, it is published here.
Tabellen im Spiegel der drucktechnischen Innovationen des 20. Jahrhunderts.
Die Berechnung der Tabellen war mit einem komplexen Druck- und Publikationsprozess verwoben. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts[1] wurden Publikationen per Hand gesetzt, das heißt, der Setzer las die Zahlenfolge im Manuskript ab, entnahm die einzelnen Lettern einem Satzkasten und arrangierte diese auf dem Satzschiff in Spalten, Gruppen und Blöcken welche die Seite formierten. Beim Herausnehmen wurden die einzelnen Lettern nicht auf ihre Richtigkeit überprüft, vielmehr griff der Setzer gewohnheitsmäßig – man könnte auch sagen »blind« – in die Kästen.[2] Es war daher eine neue Drucktechnik, die wesentliche Unterschiede für den Buchdruck allgemein und für Tabellenproduzenten insbesondere machte: die Stereotypie, die Verwendung von Druckplatten aus Metall. Dabei wurde vom Setzschiff, in dem die Lettern vorübergehend fixiert waren, ein Abdruck genommen, der in eine Metallplatte gegossen wurde. Diese konnte aufbewahrt und wiederverwendet werden.
Stereotypen dienten als eine spezifische Form des Speichers – im Gegensatz zu beweglichen Lettern, die häufig nach Ende des Drucks in ihre jeweiligen Fächer zurück sortiert wurden. Sollte mit beweglichen Lettern die Tabelle für eine Nachauflage erneut gesetzt werden, so bestand immer die Gefahr, neue Fehler in die schier endlosen Zahlenkolonnen einzufügen, weshalb Zweiteditionen durchaus Fehler enthalten konnten, die in der Ausgangsversion nicht vorhanden waren. »Einzelne Ausgaben von Tabellenwerken erhielten aufgrund ihrer Zuverlässigkeit im Laufe von Jahrzehnten ihr Gütesiegel, und für seriöse Bände bestand Nachfrage teils über Jahrhunderte« (Swade 2003, 148f.).
Fixierte Stereotypen hingegen konnten gut aufbewahrt werden und erlaubten es, die verwendeten Lettern für andere Druckaufgaben frei zu geben. Ihre Wiederverwendung ersparte das erneute, arbeitsintensive Korrekturlesen der Druckplatten. Die Monotype, von Tolbert Lanston 1897 erfunden, war ein weiterer Schritt in diese Richtung, denn sie ermöglicht die Eingabe der Buchstaben und verschiedener Schnitte über eine Tastatur. Sie speicherte den Drucksatz auf Lochstreifen, der es erlaubte, in der Gießmaschine den Buchsatz jeweils neu zu gießen und damit das Aufbewahren der Stereotypen zu ersparen.[3]
Ein weiterer Schritt war das Korrekturlesen 1.) anhand der Korrekturabzüge direkt aus den beweglichen Lettern und 2.) anhand der aus den Stereotypen gedruckten Korrekturexemplare. Während die Lettern auf den Druckschiffen immer noch fehleranfällig waren – sei es, dass ein Setzschiff herunterfiel, oder schlicht einige Lettern herausfielen, stellten die Stereotypien die final fixierte Form dar, und diese musste perfekt sein. Der Mathematiker Augustus de Morgan (1806–1871)[4] empfahl einen Prozess, bei dem eine Person das Manuskript vorliest und zwei weitere Personen unabhängig voneinander, identische Prüfdrucke gegenlesen. Manuskript und Proof sollten aller zwei bis drei Zeilen gefaltet werden, um Rutscher in den Zeilen zu verhindern.
»Unterschiedliche Prüfer hatten offensichtlich verschiedene Vorgehensweisen, einige bevorzugten das visuelle Prüfen, andere setzten Seh- und Hörsinn ein, indem sie die Zahlen aussprachen. Unabhängig davon, was der Prüfer selbst präferiert, wird empfohlen, diese Muster zu verändern, um Langeweile vorzubeugen. Zu den empfohlenen Methoden gehören die Veränderung der Körperhaltung, Hände und Füße zu bewegen, und Stimmhöhe oder Tonfall zu ändern« (ebd. S. 155). Teilweise wurde in die Tabellen gezielt Fehler eingebaut, um die Korrekturleser zu testen. Sollten fertig gedruckte Werke immer noch fehlerhaft sein, so wurden Errata-Listen beigeheftet und die Folgeauflagen korrigiert. Die Ausdauer und Präzision, welche im Prüfprozess geleistet werden mussten, spiegelte sich auch in einer relativ hohen Bezahlung der Prüfer wieder. Letztlich ging es darum, qua Rezensionen in Fachschriften durch angesehene Fachleute, für die Tabellenwerke einen »guten Ruf« zu etablieren, der ihre Einstufung als »vertrauenswürdig« erlaubte.
Die neuen Drucktechniken ermöglichten Anfang des 20. Jahrhunderts neue Ökonomien des Tabellendrucks und der Reproduktion. Im Gesamtprozess der Tabellenproduktion mögen sie als nachgeordnet erscheinen, doch hatten sie einen wesentlichen Anteil an der Qualität der gedruckten Tabellen. Eine eingehendere Diskussion der Druckproduktion könnte zudem ökonomische und mediale Parallelen zur Tabellenproduktion aufzeigen.[5] Es ist sicher kein Zufall, dass Charles Babbage im Entwurf seiner Differenzmaschine Nr. II (1886–1849) ein Druckwerk vorsah, dass die Ergebnisse in tabellarischer Form ausgeben würde, (ebd. S. 158ff.) und dass einer der ersten elektronischen Computer der Harvard Mark I von 1944 eine Reihe von Bessel-Funktionen berechnete, die in 12 Bänden direkt per Fotosatz ausbelichtet wurden (Bloch 1999, 103ff.).
Francis Hunger, 2016
Fußnoten
[1] Der Zeitraum zur Einführung neuer, maschineller Drucktechnologien liegt damit parallel zur Umstellung von handgeschöpftem Papier auf maschinell produziertes Papier. Diese Kombination senkte die Druckkosten stark.
[2] Trotzdem war, so Swade die Zahl der Fehler durch Fehlgriffe in Tabellen erstaunlich gering, was wohl auf die Übung an Fließtexten zurück zu führen sei (Swade 2003, 153f.).
[3] Allerdings hatte die Montype aus heutiger Sicht einen Nachteil: Es gab kein direktes Interface als bildliche Wiedergabe dessen, was per Tastatur gesetzt wurde. Erst nachdem der Lochstreifen ausgegebe, und in die Druckmaschine überführt als Testabzug gedruckt wurde, waren Fehler überhaupt sichtbar. Neben der Monotype existierte auch die Linotype-Maschine, die jedoch zeilenorientiert arbeitete. Daher erwieß sie sich für den spaltenorientieren Satz von Tabellen als weniger gut geeignet.
[4] De Morgan setzte sich einerseits mit formaler Logik auseinander und gilt gemeinsam George Boole als deren Begründer. Zum anderen war er mit Charles Babbage befreundet und unterrichtete für einige Zeit Ada Lovelace in Mathematik, um ihre die mathematischen Aspekten von Babbages Entwürfen der Analytical Machine zugänglich zu machen.
[5] Der »blinde« Zugriff auf den Setzkasten, stellt, so könnte man argumentieren, eine diagrammatische Operation auf deren Matrix dar, wobei der Ort der Lettern im Setzkasten eine semantische Struktur darstellt, die vom Drucker bestimmt werden kann, bzw. durch DIN-Normen festgeschrieben ist. Mit der Monotypie wird diese Diagrammatik des Setzkastens ersetzt durch die Diagrammatik der Eingabetastatur, auf der spezifische Zeichen und spezifische Schriftschnitte räumlich organisiert sind. Bereits in den Gutenbergschen Drucklettern wird Schrift in diskrete Einheiten unterteilt, indem die einzelnen Lettern voneinander getrennt werden und damit einzeln adressierbar sind. In der Monotypie erscheint diese Digitalisierung als Lochstreifen.
Vielen Dank an Ferdinand Ulrich.